Mit Bach in das neue Jahrtausend

Kristeligt Dagblad, Mittwoch der 17. November 1999

Musikalischer Trost: der dänisch-sprechende deutsche Geiger Jochen Brusch führt
ein Bach Projekt in dänischen und deutschen Kirchen durch.

MIT BACH IN DAS NEUE JAHRTAUSEND
von Claus Grymer

Glaube, Hoffnung, Liebe

Diese Dreieinigkeit hört der deutsche Geiger und Kirchenmusiker Jochen Brusch bei Johann Sebastian Bach. Musikalische Erbauung: Menschen, die dem neuen Jahrtausend mit Angst entgegensehen, können bei dem Meister eine Quelle des Trostes finden. Sich seiner Musik hinzugeben ist wie an einem Gottesdienst teilzunehmen.

Die Perspektive der Hoffnung ist wichtig für Jochen Brusch, wenn er nächstes Jahr, dem 250. Todesjahr Bachs, sein Projekt der Aufführung aller Werke für Violine solo von J.S.Bach in dänischen und deutschen Kirchen durchführen wird. Hier bei uns findet die Premiere alsbald während des ersten Wochenendes des neuen Jahrtausends in der Bregninge Kirche auf Taasinge statt, drei zusammengehörende Konzerte, jedes aus einer Sonate und einer Partita bestehend.

"In fast allen Konzerten, die ich während der letzten 20 Jahre gespielt habe, habe ich Werke von Bach gespielt. Die kommenden Konzerte sind eine Art Ernte," sagt Jochen Brusch auf überwältigend sicherem Dänisch. Nur der Akzent verrät seine deutsche Herkunft.

Dänemark ist zum zweiten Vaterland des 44-jahrigen Geigers geworden. Sein enges Verhältnis zum Land entstand, als er 1974 die Violinschule des Geigers Anker Buch besuchte, die dieser damals auf der Insel Mors hatte. Von 1980-86 war er Geiger des "Herning Stadstrio". Seit 1979 hat er, oft zusammen mit dänischen Musikern, eine lange Reihe von Konzerten in Dänemark gegeben, mit Vorliebe in dänischen Kirchen. "Kristeligt Dagblad" traf ihn nun in Verbindung mit einer seiner dänischen Tourneen. Außerdem wohnt er jedes Jahr im August in Ejerslev auf dem Nordteil der Insel Mors, wo ein stillgelegtes Missionshaus seine Ferienwohnung geworden ist.

Ansonsten lebt Jochen Brusch in der süddeutschen Universitätsstadt Tübingen, wo er Geige unterrichtet. Er wurde an den Musikhochschulen in Duisburg, Essen und Hannover ausgebildet und erlangte das Solisten-Diplom am "Royal College of Music" in London. Außer den in etwa 100 Konzerten, die er pro Jahr spielt, hat er auf zahlreichen Tonträgern mehr als 90 Werke veröffentlicht.

Ein Medium

Jochen Brusch: "Für einen Geiger ist Bach die ultimative Herausforderung. Natürlich ist er technisch schwierig, aber die Schwierigkeit liegt mehr im spirituellen Bereich, wie man z.B. die Tiefe und die Klarheit ausdrückt.

Wenn ich dass Gefühl bekomme, dass ich nur ein unbedeutendes Zwischenglied zwischen der Musik und dem Publikum bin, verschwindet jede Nervosität. Dann spiele ich absolut unbeschwert.
Ich kann mir keine geeigneteren Orte zur Aufführung von Bachs Musik denken als Kirchen. Einerseits weil wir als Christen dort unsere Religion ausüben, andererseits, weil die Architektur, namentlich bei den alten Kirchen so schön ist, dass alles in einer höheren Einheit aufgeht, wenn die Musik in den alten Wölbungen erklingt. Es ist wunderbar in einer alten Kirche zu spielen, die eine so gute Akustik hat, dass die Töne, die der Bogen in einem arpeggierten Akkord verläßt, dennoch im Raum stehen bleiben, so dass das Publikum den vollständigen Akkord deutlich hören kann.

Bach hat niemals seine Kunst gebraucht, um sich interessant zu machen. Das lag ihm fern. Ursprünglich war er als ausführender Musiker, als Orgelvirtuose bekannter als in seiner Funktion als Komponist. Was seine Kompositionskunst anbetrifft war er bescheiden, manchmal allerdings auch stolz. Es lag im Geist der Zeit, dass er nichts davon hielt, wenn zuviel Aufhebens um seine Person gemacht wurde. Der Grund hierfür lag wohl auch großenteils daran, dass er sich in hohem Grade als eine Art Medium empfand. Ich bin davon überzeugt, dass er fühlte, dass er die Musik von unserem Herrgott empfing. Haydn hatte die gleiche Einstellung und zog sich aus diesem Grund immer seine beste Kleidung an, wenn er komponierte.

Musik aus der Zeit heraus

Die Stärke der Geige liegt im ausdrucksmässigen Bereich. Unsere großen Komponisten haben viele ihrer schönsten Werke der Geige anvertraut. Einen der Höhepunkte finden wir bei Bach.

Die historische Aufführungspraxis, die versucht sich dem Klang anzunähern, wie er vielleicht bei Bach gewesen sein mag, wurde während der letzten Jahre viel diskutiert. Mein Standpunkt ist, dass man nur aus der Zeit heraus spielen kann, der man selbst angehört, aus den Erfahrungen heraus, die zeittypisch sind. 1999 leben wir mit der Erfahrung von zwei Weltkriegen und der atomaren Bedrohung. Es ist der verkehrte Weg, wenn man versucht die Wirkung zu erzielen, die Bachs Werke zu Bachs Zeiten erzielt haben. Damals gab es keinen Unterschied zwischen dem Geist, der in seinen Kompositionen steckt, und dem Geist der Zeit. Aber seither ist dieser Unterschied immer größer geworden. Instinktiv fühlen wir, dass in seiner Musik eine Welt großen Friedens ruht, eine Welt, die zu unserem verjagten Leben und unseren abnormen Vorstellungen über Status, Geld und äußeren Werten in großem Kontrast steht. Das Erleben dieses Friedens in Bachs Musik trägt dazu bei, dass wir uns von seiner Musik so angezogen fühlen.

Mein eigenes Verhältnis zu Bach wurde durch eine Krise, die ich vor wenigen Jahren hatte, vertieft. Damals löste sich meine Ehe auf. Mehrere Monate übte ich nicht. Als ich schließlich wieder zur Geige griff, fing ich an, jeden Tag Bach zu spielen. Das stärkte mich. Ich entdeckte während dieser schweren Zeiten, welcher Trost in dieser Musik liegt. Auch ein Publikum, das nicht besonders an klassische Musik gewohnt ist, kann die heilende Wirkung, die Bachs Musik hat, erfühlen,"
sagt Jochen Brusch.


jochenbrusch.de